Taz, 07.02.2003
Weiche Punks
Krass
menschlich: „Golden Lemons“ von Jörg Siepmann dokumentiert
die antikapitalistische Hamburger Band Goldene Zitronen auf Tour in den USA,
dem Land der großen Ausbeutung und der langweiligen Landschaften
Eine Ästhetik der Nervosität möchte Ted Gaier schaffen, sagt
er irgendwo in der Weite der amerikanischen Prärie. Seine Band, die Goldenen
Zitronen, waren vor einem Jahr auf großer US-Tour- leider nur als kleine
Vorband von Wesley Willis. Den kennt in manchen Käffern scheinbar jeder.
Einmal ist die Menge so scharf auf Wesley, dass die Zitronen vor dem Gig am
liebsten Särge bestellen würden. Kleingeld fliegt Sänger Schorsch
Kamerun an den Kopf, ein Schuh („den müsst ihr nächstes Mal
zurückwerfen“) und dann bekommt er auch noch Steit mit Gaier, weil
ihm dessen Gitarre viel zu laut in den Ohren lag. „Da diskutieren wir
jetzt seit zwanzig Jahren drüber.“
„Golden Lemons“ heißt der Dokumentarfilm von Jörg Siepmann
über die antikapitalistischen Hamburger im Land der Ausbeutung. Schorsch
steht morgens vor der Mall undist entsetzt, dass Amerikanoch krasser ist,
als er sowieso dachte. „Alle machen diese Scheißjobs und gehen
dann völlig sinnentleert konsumieren und sich die Nägel feilen.
Grauenhaft, deprimierend.“ Schorsch ist richtig traurig über diese
Zustände und das ist sehr sympathisch. Überhaupt kommen die Zitronen
sehr weich und, öhm, menschlich rüber. Wie sie da so in Langeweile
versunken in ihrem silber glänzenden Alutourbus durch unendliche Landschaften
driften, um dann abends einen Gig vor Leuten zu spielen, die nie etwas von
ihnen gehört haben. Hier sind die Zitronen wirklich deutsche Dämonen,
die kein Spiegelbild haben, wie einer im Tourtross sagt.
Sie spielen in Vegas, wo jemand von der zweiten Band im Bus den Kapitalismus
preist, weil er gerade 600 Dollar im MGM Grand gewonnen hat. Schön ist
auch die Geschichte des paranoiden Wesley, dem es schon besser geht, weil
er nur noch eine Stimme hört und nicht mehr drei. Wesley schreibt den
Hamburgern sogar ein herzerweichendes Liedchen. Er erzählt dem Busfahrer,
wie er abgestochen wurde, weil er mit seinen Dämonen sprach und jemand
auf der Straße das auf sich bezog. Der nette Fahrer versucht sich als
Therapeut, will wissen, ob Wesley Angst vor Menschenansammlungen (in Bussen!)
hat. Nach einem der Gigs wird das Geld aufgeteilt wie nach einem gelungenen
Banküberfall. Wesley zählt genüsslich seine Dollarnoten, die
dann später in der Apotheke für Beruhigungssachen ausgegeben werden.
Dann reden die Zitronen sogar übers Altern und dass man ja auch überleben
muss als Antikapitalist. Ted meint, man solle in „Hochkultur“
machen, Schorsch sei da schon im Geschäft. Der macht ja tatsächlich
inzwischen Theater und so Zeug. Schorsch selbst kann sich vorstellen auch
mit 60 noch als Punksänger auf der Bühne zu stehen. „Mach
mal ruhig!“ (Andreas Becker)
Die beleidigten Tomaten