Let it rock or let it roll


Frage: Herr Siepmann, welche Motivation hatten Sie, einen Film über „Die Goldenen Zitronen“ zu machen?
Jörg Siepmann: Das war Zufall oder Schicksal. Die Idee lag schon einige Jahre herum, aber ich fand nicht die richtige Band, von der ich dachte, dass alles zusammen passt. Ich hörte dann von „so einer Band“, die demnächst in den USA touren würde. Wir trafen uns einmal, und obwohl wir nicht viel voneinander wussten, haben wir aus dem Bauch heraus entschieden, zusammen zu fahren.
Frage: Sie bezeichnen das Genre Ihres Films als „Dokumentarisches Roadmovie“. Ist GOLDEN LEMONS ein spezieller Film über die Band „Die Goldenen Zitronen“ oder eher eine Zustandsbeschreibung der Vereinigten Staaten von Amerika?
J.S.: Von Anfang an war klar, dass ich eine Tour begleiten wollte, die nicht in Deutschland stattfindet. Wenn „Die Goldenen Zitronen“ nach Russland gereist wären, hätte ich auch dort gedreht. Mir war nur wichtig, weit genug von zu Hause weg zu sein, fernab des normalen sozialen Umfelds mit Freunden und Bekannten. Niemand sollte die Möglichkeit haben, „sich mal eben schnell zurück zu ziehen“. Die Band sollte dabei immer im Zentrum des Films stehen. Es ergibt sich natürlich automatisch, dass ´Amerika` als Themenkomplex in den Film hinein schwappt.
Frage: Was war Ihr Konzept vor Beginn der Dreharbeiten? Inwieweit haben Sie Änderungen während der Tournee vorgenommen?
J.S.: Zu Beginn der Tour wusste keiner der Teilnehmer, was ihn während der Reise erwarten würde. Da unsere Zusammenarbeit nicht auf dem Fundament einer langen Freundschaft aufbauen konnte, sind Neugier und das Vertrauen auf den eigenen Instinkt die wichtigsten Säulen des Konzeptes gewesen. Ich konstruiere Filme oder Filmkonzepte nicht gern im Vorfeld, allenfalls mache ich mir über meine Grundhaltung oder gewisse Prinzipien Gedanken. So hoffe ich, meine Neugier zu bewahren. - Beispielsweise habe ich erst am Flughafen in San Francisco erfahren, dass mit „Grand Buffet“ eine dritte Band im Bus sitzen würde. Ich wusste nichts über sie, aber sie sind während der Dreharbeiten neben den „Zitronen“ und Wesley Willis zur dritten wichtigen Figur geworden. – Gleichzeitig wusste auch der Tourmanager Tal offenbar nichts von unserem Filmprojekt. Da er Wesley grundsätzlich von allem Fremden abschirmt, durften wir die ersten Tage nicht in dessen Nähe drehen. Nachdem Tal jedoch bemerkt hatte, dass wir Wesley nicht ausnutzen wollten, avancierte er nach einigen Tagen zum nettesten Menschen der Welt. Letztlich standen uns allerdings nur sieben von ursprünglich zwölf avisierten Drehtagen zur Verfügung.
Frage: Ihr Film heißt GOLDEN LEMONS. Ein wesentlicher Fokus liegt darin auf dem Musiker Wesley Willis, den „Die Goldenen Zitronen“ auf seiner Tournee als Vorband begleitet haben. Sie akzentuieren ihn zusätzlich durch die erste und letzte Einstellung. Welche Bedeutung messen Sie ihm innerhalb Ihres Filmes bei?
J.S.: Um Wesley drehte sich beinahe alles während dieser Tour. Er bestimmte den Rhythmus und die Geschwindigkeit. Schließlich tourt er mehrere Monate im Jahr durch ganz Amerika. Wenn die Umstände es erforderten, stark von seinem gewohnten Rhythmus abzuweichen, gab es Probleme. Während der langen Fahrten saß Wesley fast den ganzen Tag im hinteren Teil des Busses und spielte Keyboard. Aber auch in den wenigen Momenten, in denen er sich im vorderen Teil aufhielt, war er in seiner eigenen Welt. Er war unglaublich präsent, aber es gestaltete sich schwierig, Zugang zu ihm zu bekommen. - Wesleys Schicksal kann man sich nicht entziehen. Wer sieht, was er durch seine psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie und Autismus erleiden muss, und was er tut, um aus diesem Tal heraus zu kommen, will mehr über ihn wissen.
Frage: Warum fokussieren Sie innerhalb der „Goldenen Zitronen“ in erster Linie den Sänger Schorsch Kamerun und den Gitarristen Ted Gaier?
J.S.: Ich habe mit allen Bandmitgliedern gleichermaßen Gespräche geführt. Erst am Schneidetisch habe ich das endgültige Ensemble zusammengestellt. Durch die Entscheidung, „Grand Buffet“ ebenfalls zu integrieren, und den Umstand, Wesley - wegen seiner Erkrankungen - fast nur über seinen Freund und Manager erreichen zu können, gab es plötzlich viel mehr Personen im Film als erwartet. In der ersten Fassung hatte ich 14 Figuren im Film, aber niemand hatte den Raum, den er brauchte. So können leider nur einige der „Zitronen“ im Vordergrund des Films stehen.
Frage: Warum haben Sie sich entschieden, relativ wenige Konzertausschnitte zu verwenden?
J.S.: Die in GOLDEN LEMONS gezeigten Ausschnitte nehmen nur einen relativ kleinen Teil des Films ein, setzen sich aber aus fast allen Konzerten zusammen. Ich wollte keinen Film über Konzerte machen. In den meisten dieser gängigen Musikerfilme mangelt es - trotz zahlreicher umher fliegender Kameras, Backstage Stories etc. - an Nähe zu den Künstlern.
Frage: Warum erfährt der Zuschauer wenig über die Ziele der Band und kaum etwas über das Privatleben der einzelnen Mitglieder der „Goldenen Zitronen“, obwohl der Film hinter die Kulissen guckt und zahlreiche Szenen jenseits der Auftritte vorführt?
J.S.: Es gab diese Fragen - und auch Antworten dazu. Ich bin jedoch der Meinung, dass im Aufprall von Wesley, „Grand Buffet“ und den „Zitronen“ das spannende Potential des Films liegt; nämlich in einer ungleichen, temporären Zwangsgemeinschaft. Mich interessierte der Kosmos „Tour“. Einen einzelnen herauszunehmen, ihn privat zu begleiten und in sein anderes Leben einzutauchen, wäre ein ganz anderer Film.
Frage: Sie zeigen uns mehrfach die Mitglieder der Band als zurückgezogene und verschlossen wirkende Einzelpersonen. Warum?
J.S.: Während einer Tour gibt es keine Privatsphäre: keine Türen, die man hinter sich zumachen kann. So fließt die Zeit dahin, und jeder versucht, seine eigenen privaten Momente zu finden - auch wenn diese nur daraus bestehen, aus dem Fenster zu schauen. Ich habe diese eher melancholischen Momente aufgespürt und eine besondere Affinität zu ihnen entwickelt. In vielen Situationen haben wir spontan entscheiden müssen. Es gab keine Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Im Plattenladen hielten wir uns zum Beispiel nur eine halbe Stunde auf. Wir sprangen rein, hatten drei Minuten für Entscheidungen, und schon ging es weiter. Trotzdem gewinnt man den Eindruck, als sinnierten dort alle stundenlang.
Frage: Am Truck-Stop “TTT“ begeben Sie sich auf eine Exkursion mit einer Angestellten dieses Rastplatzes. Die Szene weicht formal von der Gesamtlinie des Films ab, da weder ein Bandmitglied noch ein Schauplatz, der direkt mit der Tournee zu tun hat, im Bild ist. Warum wählen Sie diesen inszenatorischen Eingriff?
J.S.: Diesen Eingriff habe ich nicht selbst gewählt. Wir wollten nach Tagen nur schnell eine Dusche nehmen und schlechtes Essen in Rekordzeit in uns hinein schaufeln. Kaum betraten wir den Truck-Stop, hat die Angestellte uns diese Führung geradezu aufgezwungen. Wir haben ihr keine einzige Frage gestellt, sondern sie erzählte von sich aus. So einen Glücksgriff hätte ich mit gar nicht selbst ausdenken können.
Frage: Sie halten sich als Regisseur audiovisuell bewusst im Hintergrund. Welchen formalen Anspruch haben Sie an das Genre „Dokumentarfilm“?
J.S.: Ich bin in den letzten Jahren immer zwischen den Genres Spiel- und Dokumentarfilm gewechselt. Beim Dokumentarfilm halte ich mich grundsätzlich für die uninteressanteste Figur bei Dreharbeiten. Ich störe und nerve sowieso schon jeden, kann meine Stimme nicht ertragen, mein Gesicht nicht sehen. Trotzdem kann ich durch die Auswahl der Bilder dem Film meine persönliche Prägung geben. Ich wäre auf diesen dokumentarischen Stil aber nicht festgelegt, wenn ein anderer Ansatz für das Thema oder die Protagonisten erforderlich wäre.
Frage: Repräsentiert der Film gleichermaßen ihre Eindrücke und Vorstellungen sowie die der „Goldenen Zitronen“, oder würden Sie GOLDEN LEMONS als Ihren alleinigen Film bezeichnen?
J.S.: Schorsch Kamerun sagte einmal, er fände, alle Beteiligten seien gut getroffen - nur sie selber nicht. „Die Goldenen Zitronen“ haben die Tour sicher euphorischer und nicht so trist erlebt.

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