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Lauf
in die Wüste - bohr nach Öl
Die Goldenen Zitronen kommen auf die Bühne, nehmen ihre Plätze ein,
noch spielt niemand einen Ton. Ted Gaier fragt: "Do you believe in Rock'n
Roll?" Ein Moment, der eigentlich spannungsloser nicht sein könnte,
wissen doch alle, die Frage ist rhetorisch. Ein paar Leute im Publikum geben
Unverständliches von sich, ein paar "Yeahs" kämpfen sich
ihren Weg durch das Gemurmel. Dann die Ohrfeige von der Bühne: "We
don't!" Und schon geht das Geschrammel los, das wir hier als den Sound
der Goldenen Zitronen kennen, das den Ohren der meisten ihrer Zuhörer
"dort" aber seltsam vorkommen muss. Denn den Punk, den sie erwartet
haben, bekommen sie nicht. Die Goldies sind auf Tour in den USA, und der Kölner
Filmemacher Jörg Siepmann hat alles aufgenommen. Das Ergebnis heißt
"Golden Lemons" und sorgte im Forum der diesjährigen Berlinale
für einen kleinen Skandal.
Dort erklommen die Bandmitglieder das Podium und beschwerten sich lautstark.
Alles hat der Film wohl doch nicht gezeigt. Die Kritik: Es fehlten die guten
Konzerte, die zahlreichen Partys, auf denen sie gewesen seien, und ihr Widerspruch
gegen falsch gestellte Fragen. Selbst Schuld, könnte man der im vergangenen
Jahr volljährig gewordenen Band entgegenhalten. Zahllose roughe, im eigenen
Umfeld entstandene kürzere Filme zeugen davon, wie wichtig der Freundeskreis
und eine gemeinsame ästhetische Sprache immer gewesen sind. Es hätte
nahe gelegen, sich auch diesmal auf die Kamera einer befreundeten Person zu
verlassen. Aber aus dem strategischen Repertoire der Goldenen Zitronen lässt
sich auch der Gestus des Schmuggelns nicht wegdenken.
Von Anfang an haben die Hamburger immer wieder etwas dorthin tragen, wo es
nicht sein sollte. Bald nach ihrer Gründung beförderten sie Fun
in den Punk hinein, 1991 dann Sixtiespunk in den inzwischen in Arenen gelandeten
Funpunk (mit dem Album "Punkrock"), drei Jahre später HipHop
und seine politische Explizitheit in eine zerstreute Szene von künstlerisch
und politisch tätigen Antirassisten ("Das bisschen Totschlag").
Heute versuchen Schorsch Kamerun oder Ted Gaier den seit Jahren praktizierten
"trojanischen Humor" in eigener Regie auf die Bühnen deutschsprachiger
Staatstheater zu schmuggeln. Warum also nicht einem vage Bekannten unterjubeln,
wie man auf einer Tour durch die USA die eigenen Strategien exerziert?
Doch Siepmann hat nicht entscheiden wollen, wovon "Golden Lemons"
handeln soll. Der auch dem klinischen Befund nach verrückte und mittlerweile
verstorbene Wesley Willis ("I play rockmusic for the money!"), den
die Zitronen 2002 als Vorgruppe durch die USA begleitet haben, nimmt dem Filmtitel
zum Trotz großen Raum ein. Schamhaft sind die meisten Interviewfragen
an ihn herausgeschnitten. Die Antworten lassen erahnen, dass sie so wenig
neugierig waren ("Wie viele Songs haben Sie schon komponiert?"),
wie die an die Zitronen gerichteten ("Wie ist es, in Eurem Alter noch
auf der Bühne zu stehen?"). Der Rest sind alltägliche Verrichtungen
im Tourbus, Mucker-Klischees und Konzertaufnahmen, die die fünf Deutschen
förmlich als Aliens erscheinen lassen - unverstanden, wenn nicht angefeindet
vom Publikum.
Um es ehrlich zu sagen, der Film ist vielleicht kurzweilig, aber mehr auch
nicht. Er nimmt nicht, wie alle besseren Filme seines Genres, Teil an einer
Verwunderung. Albert und David Maysles "Gimme Shelter" (1970) etwa
zeigt die Rolling Stones in einer Krise, provoziert durch den Tod eines Zuschauers
bei einer Prügelei in Altamont. Die Tour einer deutschsprachigen und
stark in der hiesigen linken Szene verankerten Band durch die USA wirft genügend
Fragen auf für einen Film, der sich irritiert zeigt. Anstatt auch nach
Situationen zu suchen, in denen ein Transfer gelingt, hat Siepmann kulturpessimistische
Bilder von den USA nach Europa zurück getragen. Aber die Zitronen sind
dem, was sie in den USA gesehen haben, ähnlich begegnet: mehr mit Überheblichkeit
als mit Verwunderung. Zitatfutter für den Film.
Christiane Müller-Lobeck