DJ Hell. Die Goldenen Zitronen. Die Tödliche Doris.

Doris ist in der Gang (Pop aber nicht mehr im Bilde) [14.04.03]
Freistil

Mit der Newsbar auf CNN lässt sich heutzutage die Funktion von Musik in Musikvideos vergleichen. Da sind viele Nachrichten, unten am Bildrand. Wie diese setzt man Musik zur Beschleunigung der Bilder ein. Music sounds better, zur Statistenrolle degradiert. Noch Mitte der Neunziger feierten KulturkritikerInnen von E. Ann Kaplan bis Ernie Tee an Mainstream-Videoclips gerade den "Zerfall ihrer referenziellen Funktion". Vergesst die Musik, hieß es damals. Das Bilderwelten-Auftürmen, 24-Bilder-pro-Sekunde-Durchjagen ohne jegliche Tiefe, ließ Clips eine Bedeutung zukommen wie sonst vielleicht noch experimenteller Kunst. Nur noch dem Flächigen und Linearen in Musikvideos wurde gehuldigt, das Format dagegen total vernachlässigt. Musik-Fernsehen macht Schluss mit der Geschichte und so. Von wegen.
Die endlose Verfügung über Zeichen und Bilder in Videoclips haben die Bildsprache insgesamt vielleicht verändert. Wegen der "MTV-Ästhetik" ist die Welt aber auch nicht besser geworden. Im Gegenteil, Materialermüdung allerorten, die Wirklichkeitskonstruktionen in vielen Musikvideos sind an Stumpfheit nicht mehr zu überbieten, trotz Motion-Capturing und den geilsten Technotricks. Schon mal Sonntagnachmittag reingezappt, wenn Mick Hucknall gegen Alexander um 13.45 Uhr (beide in der gleichen Seidenbluse) in einem Autoverkäufer-Ambiente um die Quote jaulen? Das Zeichen mit Geschichte ist das Peacesymbol, bei Viva oben am rechten Bildeck. Komisch, wo Musik insgesamt abgewertet ist, müsste es doch mehr Möglichkeiten geben, gängige Bilder und Images zu unterlaufen? Aber es gibt auch nicht mehr Sendeplätze als früher. Nur weil Pop darauf steht, ist nicht mehr Pop drin. Wäre also interessant, jetzt, wo die Postmoderne vorbei ist, andere Bilder für Pop zu finden. Vielleicht ließe sich Musik damit aus der Statistenrolle herausholen? Vielleicht genügt es auch, wenn die Produktionsmittel Pop sind?
"Der Umgang mit Musik im Film ist eingeschränkt", findet der Regisseur Romuald Karmakar, "da man sich an das hält, was Videoclips repräsentieren. Das hat sich auf den Filmschnitt übertragen. Sobald Musik läuft, versucht man den Film schnell zu schneiden." Im Forum der diesjährigen Berlinale lief "196 bpm", seine Dokumentation über DJ Hell und die Loveparade. Drei starre Kamera-Einstellungen, kaum Schnitte. Aufregend, trotzdem. "Die Loveparade hat ein Jahrzehnt lang weltweit die Jugend beeinflusst, aber wenn man darüber bewegte Bilder sehen möchte, gibt es einen Porno und zwei langweilige Liebesfilme. In der Fernsehberichterstattung ging es sowieso nie um Musik oder die Frage, warum die Leute eigentlich zu tanzen beginnen. Da waren die Moderatoren in der Hauptrolle." Karmakar filmte DJ Hell bei seiner Gigolo-Night anlässlich der Loveparade 2002. Er nahm eine DV-Kamera, fünf Kassetten und richtete sein Stativ von der Tanzfläche aus auf das DJ-Pult. Die Kamera nimmt die Position eines Tänzers ein und lässt den DJ mit seinen Bewegungen beim Platten-Auflegen Geschichten erzählen. Es gibt keinerlei Kommentare, der Kamera kommt die sprechende Funktion zu. Wahrheiten drehen sich auf dem Plattenteller, altes DJ-Sprichwort, und spätestens, wenn Hell von Bobby Konders auf The DFA überblendet, ist man drin in der Sache. Wer dabei jeweils ins Bild gerät und was, bleibt dem Zufall überlassen. Missgeschicke passieren, der Ton übersteuert, Menschen stolpern gegen die Kamera, die Linse beschlägt durch die hohe Luftfeuchtigkeit. "Es ist ein Musikfilm", sagt Karmakar. "Mir ist aufgefallen, dass es im deutschen Film eine unheimliche Leerstelle gibt, was die Darstellung von Musik betrifft." Dabei ist "196 bpm" aus Verlegenheit entstanden. Karmakar hat jahrelang versucht, einen neuen Film zu finanzieren, und war schließlich des Wartens satt. Selber erlebt hat er die Loveparade erst Ende der Neunziger, nach seinem Umzug von München nach Berlin. DJ Hell kennt er noch vom Fußball-Spielen in München.
Bei "Golden Lemons" hingegen wird keine affirmative Stimmung verbreitet. Regisseur Jörg Siepmann und die Protagonisten, Die Goldenen Zitronen, kannten sich vorher gar nicht. Aber es ehrt die Bandmitglieder, dass sie einem Fremden Drehgenehmigung erteilten. "Golden Lemons" ist ein klassischer Dokumentarfilm. "Wir sind mit einer Kamera losgefahren", sagt Siepmann, "und einer in Reserve." Er hat die Band bei ihrer USA-Tour (siehe hierzu auch das Band-Tagebuch in Intro #93) mit dem schizophrenen Musiker Wesley Willis 20 Tage begleitet und daraus in knapper Form ein Porträt geschnitzt. Trotzdem ist "Golden Lemons" kein Roadmovie, eher eine Nahaufnahme aus dem Showbiz. Es wird ausgiebig über Musik geredet. Ted Gaier und Schorsch Kamerun kommen zu Wort, bilanzieren, diskutieren, streiten. "Wenn ich sehe, wie im Clip-Fernsehen bei Live-Übertragungen acht Kameras hin und her fliegen, ist das für mich der Moment, wo die Magie flöten geht. Wo all das, was Musik ausmacht, weg ist", sagt Siepmann. Er filmte Situationen im Bus, beim Ausladen und Einpacken des Equipments. Die Launen kommen dabei rüber. Die Kommunikation mit Wesley Willis, Stopps unterwegs, z. B. die mexikanisch-amerikanische Grenze, werden gezeigt. "Golden Lemons" ist natürlich auch ein Film über den Zustand der USA, über Menschen in Truckstops und die Architektur der Suburbs. Mittendrin die Band, die zu allem eine Meinung hat. Hierzulande die Kings der Debatte, ist ihr Weg durch das Mutterland des Rock'n'Roll beschwerlicher: Dort sind sie eine Band von vielen. "Golden Lemons" entdeckt die Schönheit an verrotteten Entertainment-Mythen. Der Band hat der Film übrigens nicht gefallen, sie taten das nach der Aufführung bei der Berlinale auch kund: Glamour habe gefehlt, der Austausch mit den Leuten vor Ort ebenfalls.
Vielleicht ist es eine Lösung, alles selbst zu machen. So wie die wieder zu entdeckende (West-) Berliner Krachband/Künstlergruppe Die Tödliche Doris, die ihre Konzerte in den 80ern mit Filmen begleitet hat. Eine Art Homemovie-Daumenkino war das damals. Glücklicherweise sind alle Filme erhalten, digitalisiert und archiviert. Wie z. B. die Geschichte von "Sid und Nancy", mit Kleinkindern verfilmt. Ein Säugling mit Stachelhaar pogt sich den Weg übern Ku'damm. Darauf muss man erst mal kommen. Oder: "Found Footage" aus den Abfallkörben neben Passbildautomaten. Minutenlang darf man sehen, welche Motive für nicht-zeigenswert erachtet werden. Die Tödliche Doris griff sich das unschlagbare Flimmerformat Super-8, nahm Zufälligkeiten und Alltagsgegenstände auf. Freunde und Gönner der Band durften filmen. Erstaunlich, je lärmiger, antigrooviger und white noisiger das musikalische Oeuvre, desto irrsinniger der Humor, desto mehr brechen die Bilder die Musik. Die Tödliche Doris ist immer da, wo man sie nicht erwartet, schrieb der Kritiker Detlev Kulbrodt neulich. Krönung des Doris-Filmwerks ist ein "Konzertfilm" des ersten Doris-Open-Air-Auftritts auf Helgoland im Sommer 1983. 23 mitgereiste Fans und ein paar Touristen als Zuschauer. Die Band ist ein bisschen von der Sonne geblendet, kämpft sich aber wacker durch die Musik. Ein schöner Tag für einen Super-8-Film.

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