Die beleidigten Tomaten
Fragt
der eine Musiker den anderen: „Wann spielen wir eigentlich ,Totschlag’?“
Sagt der: „Nach ,Postmoderne’.“ Fragt der eine Musiker das
Publikum: „Do you believe in Rock ‘n’ Roll?“ Antwortet
das: „Yeah!“ Sagt der andere: „We don’t“: Willkommen
auf dem Planeten der Goldenen Zitronen. Die Punksoldaten aus Hamburg sind
in den zwanzig Jahren ihres Bestehens mit ihrer Musik ergraut, und ihre Musik
ist es mit ihnen. Die jüngst vom Popfeuilleton erfundene Punk-Renaissance
mag ihnen ein wenig Rückenwind verschaffen, aber morgen ist Artrock im
Harlekinkostüm angesagt und übermorgen die vierhändige Luftgitarre
auf einem Bein stehend. Die Goldenen Zitronen wären sowieso dagegen.
Sie tragen ihren Gegen-alles-Fundamentalismus wie in Stein gemeißelt
in jeder Falte ihres Gesichts, als Denkmalpfleger der gerechten Sache und
Chefadministratoren der permanenten Systemkritik. „Wir sind zuständig
für die Widersprüchlichkeiten von gesellschaftlichen Zuständen
entsprechend der Ästhetik von Nervosität“, sagt Gitarrist
Ted Gaier und lacht kein kleines bißchen dabei. Später, ein wenig
ins Grübeln gekommen, philosophiert er übers Älterwerden und
das Schlupfloch Hochkultur. Ja, wir werden alle nicht jünger, und schon
1998 lautete der Untertitel des Albums „Dead School Hamburg“ „Give
Me A Vollzeitarbeit“.
Die Goldenen Zitronen tourten letztes Jahr mit dem autistisch-schizophrenen
Alleinunterhalter Wesley Willis und dem College-Fun-Pop-Duo Grand Buffet durch
die USA. 14 Tage im Tourbus mit einem 180 Kilo-Mann, der sich im ständigen
Zwiegespräch mit seinen Dämonen im Kopf befindet und den ganzen
Tag die Beatles und die Carpenters hört, und zwei Wonneproppen, die prinzipiell
erst einmal alles „cool“ finden. Natürlich auch die merkwürdigen
Germans, die sich innerhalb dieser surrealen Szenerie wie die deutschen Nihilisten
in Coens The Big Lebowski ausnehmen. 14 Tage also durchs Land des Klassenfeinds.
Da ist besondere Prinzipienfestigkeit gefragt. Jörg Siepmann ist mit
der Kamera dabei, wenn es heißt, von San Francisco über Las Vegas
bis nach El Paso an der mexikanischen Grenze den Yankees einige Lektionen
in Political Correctness zu erteilen. „The next song is against racism
in Germany after the reunion in the early 90ies“, kündigt Frontmann
Schorsch Kamerun in einer dieser verwarzten Hinterhof-Spelunken das nächste
Stück an und erntet im Publikum einen Abgrund von Ratlosigkeit. Einmal
fliegen Mittelfinger, dann Schuhe, und man kann es niemandem wirklich verdenken.
Außerdem findet Kamerun die „kulturelle Ästhetik“ im
Gastland „beschämend“ und das Dasein dort „sinnentleert“:
Anti-Amerikanismus kann sowas von dröge sein.
Jörg Siepmann führt die Zitronen nicht vor – das besorgen
sie schon selber – versteht es aber durch pointierte Schnitte, Leerstellen
zu lassen, bei denen sich jeder sein eigenes Urteil bilden kann. Wenn er beispielsweise
zwischen die Aufnahmen eines Auftritts Bilder sich langweilender Menschen
draußen im Foyer setzt oder wenig später die Herren Künstler
beim großen Reinemachen im Bus zeigt. Er hat ein gutes Gespür für
dokumentarische Augenblicke, die Ambivalenzen und Doppelbödigkeiten besitzen.
Und es ist ihm hoch anzurechnen, daß er Wesley Willis und seine Krankheit
ernst nimmt und ihm mit großer Sensibilität und Geduld die porträtierenden
Züge eines dämonischen Freaks erspart. Was ist auch dessen mit dem
vergnügten Gleichmut eines Drehorgelspielers vorgetragenes „Osama
Bin Laden, Osama Bin Laden“ gegen den verbissen-brachialen Schlachtruf
„Probleme, Probleme“ der Zitronen?
Die waren übrigens über den Film gar nicht amused und taten dies
bei der Premiere auch kund. Die Tour sei nicht so trist wie dargestellt gewesen,
und außerdem hätten sie auch mal vor 500 und mehr Zuschauern gespielt.
Na, dann kann die Hochkultur ja noch ein wenig warten. Nur schade, daß
Siepmann den noch treffenderen Filmtitel schon für eine seiner früheren
Arbeiten verbraten hat. Die hieß: Controlled Demolition.
Mark Stöhr